Mitgefühl und Selbstmitgefühl

Selbstverurteilung und Selbstmisstrauen sind schwerwiegende Irrtümer… ich bitte Dich um nichts weiter als dies: Mach die Liebe zu deinem Selbst vollkommen.

Sri Nisargadatta, indischer Lehrer

Mitgefühl (eingeschlossen ist Selbstmitgefühl) ist der Lebensfreund, dem ich mich heute widmen möchte. Gerade das Wort Mitgefühl führt, so erfahre ich in meinen Workshops Zur Achtsamkeit in Organisationen mindestens zu Irritationen. Was ist das eigentlich und was hat das im beruflichen Kontext zu suchen? 

Eine schöne Definition von Rick Hanson lautet „Mitgefühl ist der Wunsch, dass ein Lebewesen nicht leiden muss, normalerweise verbunden mit dem Gefühl einer warmherzigen Anteilnahme.“ Und für Selbstmitgefühl: „Selbstmitgefühl verbindet den Wunsch und die Wärme von Mitgefühl mit dem Lebewesen welches Deinen Namen trägt.

Es geht also um den Umgang mit Leid. Was könnte Leid im Berufsalltag sein?

Nehmen wir folgende Situation, die sich so ähnlich auch zugetragen hat.  

Du schickst eine Mail raus, in der nicht vertrauliche, aber sensible Informationen stehen. Plötzlich stellst Du fest, dass die Mail nicht an den gewünschten Adressaten, sondern jemand anderes ging, der aber in dem Kontext, diese Informationen nicht hätte bekommen dürfen.

Was passiert jetzt in Deinem Inneren? Vielleicht: 

Wie konnte das passieren? Ich bin so ein Idiot? Was hat das für Konsequenzen? Ich bin schuld, dass die Info jetzt raus ist! Wir werden den Auftrag verlieren. Unser Ruf als vertrauenswürdiges Unternehmen ist ruiniert. Ich bin völlig dem weiteren Geschehen ausgeliefert.“

Jetzt entsteht Leid und nicht nur das, das Leid verstärkt sich noch, in dem z.B. die Konsequenzen ausgemalt werden. Ein zweiter und dritter Pfeil auf Dich oder uns selbst wird abgeschossen. Die Schmerzen werden größer. Und im Schmerz sind wir weniger kreativ, es reduzieren sich die erkennbaren Handlungsmöglichkeiten. Sicherheit fehlt auch, weil ja nicht klar ist was passieren wird oder schon passiert. Der innere Kritiker ist voll auf Touren.

Unabhängig von den Modellen von inneren Anteilen etc. und den Schutzfunktionen dieser, möchte ich dabei auf das Wort Kritik schauen. 

Kritik ist vom griechischen Wortstamm her die Kunst der Beurteilung oder steht für Richter. Und in der Beurteilung steckt „Das ist gut und das ist schlecht“ und wenn wir vor das Wort Kritik noch „Selbst-„  schreiben entsteht leicht „Ich bin gut und ich bin schlecht“ . In unserem Beispiel führt das mindestens in diesem Moment zur Abwertung des Selbst. Und wie bei einer Abwertung oder einem gefühlten oder realen „Angriff“ von außen, zu den bekannten Reaktionen Kampf, Flucht, Erstarren. Wie könnte das aussehen? 

Im Fluchtmodus vielleicht „Das liegt nur am Mailprogramm, da bin ich nicht schuld dran, das muss die IT mal anders einstellen.“

Beim Erstarren: „Am besten nicht drüber reden, vielleicht kriegt es keiner mit“

Im Kampfmodus: „Ich rufe da an und sagen denen, dass es ja wohl selbstverständlich ist, dass sie die Mail nicht lesen“ 

Bestimmt gibt es noch andere nicht adäquate Ideen für Reaktionen. Alle Alternativen sind jedoch nicht wirklich heilsam. Und vor allem, bringen sie nicht das hervor, was wir eigentlich im positiven Sinne von Selbstkritik erhoffen, dass wir Fehler erkennen und daraus lernen und in Zukunft anders handeln. Deswegen versuche ich persönlich das Wort Kritik und Selbstkritik nicht mehr zu verwenden. 

Hier kommt das Mitgefühl bzw. Selbstmitgefühl ins Spiel. Wie wäre es zu sagen: „Mist, mir ist ein Fehler passiert, Fehler passieren allen, möge ich jetzt mitfühlend mit mir umgehen, damit ich eine Lösung finde, um die Auswirkungen zu verringern und Wege zu finden, dass der Fehler nicht wieder passiert“. Vielleicht klingt das gestelzt und doch ist das der Kern. Und weil es nicht so einfach ist, ist es sinnvoll Selbstmitgefühl zu üben. Der nächste Muskelstrang der Achtsamkeit, der trainiert werden will.

Und was ist mit dem Mitgefühl? In einer Organisation, in der psychologische Sicherheit herrscht, also Menschen Fehler machen dürfen, es Feedback gibt, herrscht auch Mitgefühl. Wenn ich selber nicht in der Lage bin, mir gerade Selbstmitgefühl zu schenken, sind es vielleicht meine Kolleg*innen oder meine Chef*innen, die mir Mitgefühl schenken, mit ähnlichen Worten. „Oh ja, da ist Dir ein Fehler passiert, Fehler passieren doch uns allen. Ich fühle mit Dir, lass uns schauen ob wir eine Lösung finden, um die Auswirkungen zu verringern und Wege zu finden, dass der Fehler nicht wieder passiert“

Wäre das nicht hilfreich?

Und (Selbst-) Mitgefühl ist auch Etwas, was wir gerade in dieser Zeit brauchen. Ich höre z.B. in Gesprächen über das Home Office, „Das ist doch toll, ich kann meine Zeit besser einteilen oder die Ruhe tut mir wirklich gut, ich habe gerade weniger Stress, weil ich nicht reisen muss und kann mich auf mich konzentrieren“. Das denke ich häufig auch, und dann gibt es die Momente wo das genaue Gegenteil da ist. Ich kann den Tag nicht strukturieren, bin nicht effizient und fühle mich einsam und wäre gerne im Zug auf dem Weg zu einem Workshop. Und mich dann nicht z.B. für die Ineffizienz kritisieren sondern mit mir mitfühlend sein, hilft mir sehr. Und auch mitfühlend sein mit denen, die die beschriebenen Momente sehr selten haben, weil sie Kinder betreuen müssen oder Ihnen die Gemeinschaft der Kolleg*innen fehlt. Und das auch aussprechen und nicht immer nur die Vorteile von Home Office aufzählen, ist mitfühlend.

Kristin Neff hat in Ihrem Buch Selbstmitgefühl ein Mantra formuliert, welches ich Euch heute als Übung mitgeben möchte. Es besteht aus drei Sätzen. Der erste stärkt die Achtsamkeit und Akzeptanz, der zweite steht für die gemeinsame Menschlichkeit und der dritte für die Freundlichkeit mir selbst gegenüber und hat damit alle Zutaten für Selbstmitgefühl.

Ein Mantra für die Momente, in denen der innere oder auch äußere Kritiker zu stark ist oder ihr einfach Mitgefühl braucht.

DAS IST EIN MOMENT DES LEIDENS (KUMMERS /SCHMERZES) !

LEIDEN GEHÖRT ZUM LEBEN!

MÖGE ICH MIR IN DIESEM MOMENT MIT MITGEFÜHL (FREUNDLICH/GÜTIG/ LIEBEVOLL) BEGEGNEN!

Euer Oliver

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